Der Schauplatz zu Beginn des kleinen Einblicks in meine Gedankenwelt, der sich heute ergibt, ist ein Einkaufstempel im Januar, irgendwo in Deutschland, aber immer noch in meinem Aktivitätsradius. Es ergab sich, dass ich zeitkritisch etwas benötigte, was sich in der kurzen Zeit online nicht beschaffen ließ. Kein Am-Besten-vor-zwei-Minuten-Stress, aber ausreichend, um es innerhalb von 24 Stunden in den Händen zu halten – Elektronikware, Standardprodukte, zu bekommen in jedem Laden mit dem großen orangen Planeten oder dieser rot-weißen Hypnosespirale. Leider kein freistehender Markt, sondern Teil einer unsäglichen Einkaufsladenaneinanderreihung, die von Mode über Discounter und Gummibärchenspezialitäten (sic!) eben auch einen solchen Versorger für Waren des täglichen IT-Bedarfs bereithält. Mein Retter in der Not, wenn es mal schnell gehen muss, man aber nicht selbst zahlen muss, und aber heute noch eine Office-Lizenz braucht. Und der Auftraggeber aus unerfindlichen Gründen nicht online bestellen will. Die Gründe seien dahin gestellt, faktisch bleibt die Absicht, nach Schluss aller Pflichten diesen komischen Laden aufzusuchen, indem sich marketingtechnisch gut gebildete Verkäufer befinden, deren technische Kompetenz für meine Begriffe leider nicht immer dem entspricht, was ich unter Beratung verstehen würde. Wer Beratung erwartet, erwartet aber eben auch, kann also enttäuscht werden. Ergo: Wissen, was man will, und kaufen. Den Laden also als großes Abhollager betrachten. Das ist meine Taktik für diese IT-Elektronik-Unterhaltungstechnik-Nahversorger mit Waschmaschinenverkauf, aber das nur am Rande. Der Weg dahin, dem dann der wohlverdiente Tagesschluss folgen sollte, gestaltete sich schwierig. Neben dem Winterchaos, das das weiße Katastrophenpulver angerichtet hatte (wer rechnet auch im Januar mit Schnee?), einem folglich also sehr stockenden ÖPNV-Reiseerlebnis war die Bahn zu allem Überfluss auch noch sehr voll, und so war ich dann wohl gezwungen, stehend neben dem Herrn mit dem in Luftpolsterfolie verpackten Kunstwerk Platz zu nehmen. Sollte sich für 15 Minuten einrichten lassen, man hat ja Kopfhörer für die Grundbedürfnisse der Unterhaltung.
Etliche geflissentlich mitgelesene Whatsappkonversationen später erreichte ich dann auch tatsächlich die Haltestelle meiner Träume, oder wohl besser die Haltestelle, die ich gern wie in meinen Träumen erreicht hätte, stattdessen befanden sich dort aber auch im 18 Uhr noch scharenweise shoppingwütige Wesen der menschlichen Rasse. Hat man sich dann unter treuer Missachtung der Fußgängerampel auf die Straßenseite des Eingangs verschleppt und es durch den Wärmeschleier hindurch geschafft, steht man in einer Welt voller (Un-)Möglichkeiten: da finde man unter über 50 Läden mal genau das, was man sucht. Der Planetenelektroniker versteckte sich dank seiner Größe allerdings nicht lange vor meinen Orientierungsabsichten – einziges Problem waren die sehr ausgelassenen Feierabend-Konsumenten, die teils Händchen-haltend durch die Gänge spazieren, als wäre jede Lebensstunde nun neuerdings 120 Minuten lang. Dagegen wäre ja im Prinzip erstmal nichts einzuwenden, wäre da nicht der Fakt, dass es leider in allgemeinen öffentlichen Einrichtungen wie auch einem solchen Kaufhaus kein Fast Lane für die, die es wirklich eilig haben, gibt. Einfach eine dünne getrennte Spur für diejenigen, die just im Moment ihrer dortigen Anwesenheit nicht flanieren oder ihre Beziehung ausleben wollen, sondern gern schnell und direkt zu ihrem Ziel kommen, um es dann ebenso direkt wieder zu verlassen.
Statt dieser Überholspur, die ich auch in Kantinen, Supermärkten und vor allem bei Ikea (neben mehr Abkürzungen in diesem Marathonstreckenhaus!) begrüßen würde, wurde der Abend nun zu Slalom zwischen Käufern und Gekauften, Singles und Paaren, Taschenträgern und Tütenfetischisten, die scheinbar alle nur die Absicht hatten, die Gänge zu verstopfen. Eine Art Rechtsfahrgebot ist da schmerzlich vermisst. Der Schock sollte noch kommen: ich muss in die erste Etage, und das gesamte Haus hat nur Fahrstühle und Rolltreppen. Keine normalen Stufen, abgesehen von der Rettungstreppe, aber die Retten-Löschen-Bergen-Kameraden wollte ich heute nicht wegen eines Netzteiles kennenlernen müssen. Fahrstuhl fällt aus, da wartet man ewig, und ich hasse es, zu warten, oder zumindest sinnfrei in der Gegend rumzustehen. Lieber laufe ich eine Bahnhaltestelle der Bahn entgegen, als 7 Minuten zu stehen. Eigenartig, aber hält auch fit. Angekommen an der Rolltreppe, welche ich nicht stehend, sondern mehr laufend überbrücken wollte, bot sich mir weniger ein Idealbild aus London: tratschende junge Damen und vollbepackte Ehemänner standen zick-zack-förmig, damit man ja nicht schnell laufend nach oben passieren konnte. Was kann denn so schwer daran sein, einfach rechts zu stehen, und links eine Spur für die genervt-gestressten Zeitgenossen bereitzuhalten, die gern nach Hause würden? Oder erstmal den lästigen Einkauf hinter sich bringen? Augenrollend, und in Gedanken schon Kommentare eigentlich abwesender Personen hörend, dass ich mich mal nicht so haben sollte, stelle ich mich brav an den rechten Rand der Treppe, und stehe mich nach oben. Während sich links hinter mir jemand aufs Geländer lehnt und es mir gleich tut. Da müssen dringend mal Erklärschilder mit dem Rechtsrolltreppennutzungsgebot hin. Wobei, auf den Autobahnen funktioniert das ja auch eher mäßig. Dort fahren für gewöhnlich nur wenigstens links alle wesentlich schneller als rechts, auch wenn sie die Spuren nicht dauernutzen dürften. Stört mich aber weniger als auf den Rolltreppen, da kostet es mir meinen Abend, meinen Nachtschlaf und irgendwie auch meine Nerven. Ich alter Melodramatiker.
Nach gefühlter Erdumrundung auf der Rolltreppe, in Anlehnung an In 80 Tagen um die Welt erreiche ich den Laden, der gerade im laufenden Betrieb neuen Boden bekommt. Dementsprechend ist es enger als gewöhnlich, und bevor man dort mal gefunden hat, was man sucht, vergeht auch mehr Zeit, als einem lieb ist. Ikea hat immerhin eine Auskunftsstation, in welchem Hochregal was rumliegt. Bei Saturn sind übrigens die Waffeleisen in der Nähe von Kontaktgrills und irgendwelchen Haardrehprodukten mit Stromanschluss für Frauen, falls das mal jemand braucht. Leider steht am Regal oben nicht dran, dass dort Waffeleisen drin sind. Sonst würde man das gegenüber von Haushaltsgroßelektronik ja auch zu schnell finden und könnte sich die Livedemo des neuen Staubsaugers gar nicht anschauen. Aber Achtung: den Teppich darf man nicht betreten, sondern nur zugucken, wie der sichtlich demotivierte Vertreter das Produkt vorstellt.
Nach anfänglicher Suche tauchte dann das Produkt des Interesses auf, also zumindest ein ähnliches Alternativprodukt, und an der Kasse gings immerhin schnell. Bar gezahlt, Rechnung eingesackt, ab zurück. Runter war die Rolltreppe frei – vielleicht will man ja nur hoch, und nicht runter. Sollte ich eine Kaufhausübernachtungsaktion verpasst haben, wäre ich nicht traurig. Das gleiche Trauerspiel rückwärts, ab nach draußen, weg und davon. Für den Rückweg gibts ja eBook-Reader, um Bücher zu lesen, ohne Papier mitnehmen zu müssen. Schöne neue Welt – endlich Bücher kaufen, ohne dafür aus dem Haus zu müssen. Heureka. Unterwegs dann ein Gedanke, der mir aber nicht mehr aus dem Kopf ging: Warum muss es immer schneller gehen, an der Kasse, im Internet, beim Abruf der Filme, bei der Verfügbarkeit von Informationen, aber kann auf der Rolltreppe dauern? Warum nicht mal anderen den Weg freimachen, die vielleicht mehr in Eile sind, weil sich deren Eile nicht nur passiv in Form von Verlangen ausgebildet hat, sondern aktiv und greifbar durch schnelle Schritte äußert? In meinen Augen eine klare Differenz zwischen dem, was man selbst erwartet, aber sowieso nicht leisten kann (Beispielsweise die Erwartungshaltung, ein bestelltes Produkt per Amazon-Morning-Express zu erhalten), und dem, was man leisten kann, aber nicht erbringen will (verdammt nochmal rechts hinstellen, und soetwas wie Rücksicht nehmen) – setzt sich das gesellschaftlich durch, profitiert jeder mal davon. Das war vielleicht ein bisschen unverständlich. Differenzieren wir das nochmal klarer:
- Erwartungen, die ich an andere habe, und selbst erfüllen könnte. Andere dabei zu unterstützen wird aber unterlassen, da man selbst dieses Bedürfnis ja gerade nicht hat. Als klares Beispiel: Ich habs eilig, und die Frau vor mir könnte am rechten Rand der Rolltreppe stehen, tut sie aber nicht, da ihr das vollends egal ist, und sie die Ruhe selbst ist.
- Erwartungen, die ich an andere habe, aber selbst nicht erfüllen könnte – das umfasst dann wohl Güter und Dienstleistungen, die man von andern beziehen muss, mangels Fähigkeit zur Selbsthilfe. Aber da darf es dann bitte sehr schnell gehen, da die Person, die dafür am anderen Ende sorgt, unbekannt-diffus ist. Bestes Beispiel hier: der gesamte Versandhandel. Wehe, das Paket ist nicht nach drei Tagen da.
Kopfschüttelnd Zeit für den Feierabend, reicht dann. Lieber ein gutes Buch und schlechte Laune beim Gedanken an den kommenden Tag. Irgendwas muss den Pessimismus ja erhalten.
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